Forschung

In unserem Schwerpunktfeld der Geoethik setzen wir uns damit auseinander, wie aktuellen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen im Sinne einer integrativ-nachhaltigen, verantwortungsvollen Entwicklung und transnationalen Gerechtigkeit begegnet werden können. Ethik bezieht sich hierbei auf überindividuelle Normative bzw. Verantwortungsbereiche, die immaterielle Dimensionen (gesellschaftlich, symbolisch) ebenso wie materielle Dimensionen (Leben, Ressourcen/assets, Raum u.a.) betreffen. Entwicklung wird nicht als linearer Prozess verstanden, sondern als komplexe Erfahrungsdynamik, die in unserer heutigen Welt v.a. die Suche nach gerechten Alternativen darstellt. Geoethik wird jenseits einer Bereichs-Ethik sinnbildlich als Philosophie für globalisierungsgeographische Themen und Auseinandersetzungen verstanden. Gerade in der Lehre und mit Blick auf Anwendungsbezüge verstehen wir Geoethik als eine kritische, relationale Perspektive auf transnationale Gerechtigkeit.

Aktuelle Forschungsprojekte beschäftigen sich mit der weiteren konzeptionellen Rahmung einer Geoethik, die verschiedene Sphären und Themenbereiche wie Nationalismus, Race, Klimagerechtigkeit, Diversität, Grenzen etc. betrachtet. Ebenso geht es in konkreten empirischen Untersuchungen darum, wie geoethische Leitlinien erarbeitet werden können, z.B. für eine maritime Geoethik, in angewandten Bereichen postkolonialer Lesart (Development Studies, Urban Governance, Internationale Zusammenarbeit) u.a.

In der Lehre werden diese Aspekte v.a. in der Vorlesung „Konzepte und Zugänge der Globalisierungsgeographie“ (V. Cummings) behandelt, sowie im Modulbereich „Globalisation“ unserer MA-Studienprogramms.

Gedanklich weiterentwickelt und inspiriert werden diese Auseinandersetzung (geo-)ethischer Normative unter anderem im transdisziplinären Dialog des Ethik-Forums der JGU Mainz.

Identität und Zugehörigkeit sind in unserer globalisierten Welt zunehmend an soziale Gruppen, Räume und Netzwerke gebunden. Wir (er)leben weltweit entgrenzte Mobilität und Verfügbarkeit von Wissen, Informationen, Einsichten u.a. aufgrund von Digitalisierung und Transportmöglichkeiten. Dennoch – oder gerade deshalb – kommen physischen Räumen und Orten im Sinne von räumlicher Identität („Herkunft“, Heimat, Zuhause, Nationalität etc.) wieder zunehmende Bedeutung zu. In diesem Spannungsfeld setzen wir uns mit unterschiedlichen Prozessen des Placemaking auseinander und nehmen diese in forschungsgeleiteten Lehrprojekten in den Blick.

Ein regionaler Schwerpunkt hierzu liegt auf Fragen des Nation-Buildings junger Nationalstaaten (Hochzeitspraktiken junger Omani, Kosmopolitismus in Oman und Singapur). Dies betrachten wir v.a. im Sultanat Oman, dem Stadtstaat Singapur, sowie auf Mauritius.

Kosmopolitismus & Nation Building

Im noch relativ jungen Nationalstaat Oman untersuchen wir die Herausforderungen einer zunehmend international orientierten Gesellschaft. Einmal sind hier die neuen Möglichkeiten postmoderner Lebensstile (v.a. im Hauptstadtgebiet Maskat) dank hohen Renteneinkommens aus den Erdöl- und -gaseinkommen zu nennen; diese kollidieren jedoch mit Fragen zur ökonomischen Diversifizierung, welche v.a. im Tourismussektor Erfolg versprechend verhandelt und praktiziert wird. Die Öffnung für internationalen Tourismus bringt weitere Herausforderungen für das kulturelle Leben der omanischen Gesellschaft mit sich. Diese lebt zudem weiterhin starke familien- und stammesorientierte soziale Strukturen, die mit der zunehmenden Internationalisierung der Gesellschaft durch ausländische Arbeitskräfte, ebenso wie durch die arbeits- und bildungsbedingte Mobilität junger Omani herausgefordert wird. Schließlich sind ebenfalls die politischen Neuordnungen bzw. Fortschreibungen zu nennen, die sich im Spannungsfeld zwischen Selbstzuschreibungen und Kosmopolitismus sowie dem jüngeren Identitätsprozess im Zuge des nation-building, Bedürfnis nach Stabilität (nach innen sowie in der Region) und gleichzeitig der weiteren Einbindung und weltweiten ökonomischen Vernetzung bewegen.

Kulturelle Vielfalt

Gerade in kulturell sehr vielschichtigen pluralen Gesellschaften liegen Anerkennungsfragen hinter subtilen Markern verborgen, die häufig in indirekter Beziehung zu place-making Prozessen stehen. Sehr anschaulich lässt sich dies am Beispiel des Inselstaates Mauritius beobachten.

Heimat

In unseren forschungsgeleiteten Lehrprojekten beschäftigen wir uns vielfach mit den facettenreichen Fragen des gerade in letzter Zeit in Europa sehr politisch gewordenen Begriffes der „Heimat“. Bei diesem umstrittenen Konzept lässt sich sehr anschaulich erarbeiten, wie vielschichtig dieses Phänomen ist: ein gesellschaftlich konstruierter Raum, der vermeintlich als physisch-materieller Raum, als lokalisierbarer Ort erscheint, jedoch erst über seine individuelle und gruppenspezifische Aufladung und gelebte Praxis an Bedeutung und Wirkmächtigkeit gewinnt.

Unsere mediengeographische Forschung setzt sich mit den Wechselbeziehungen von Medien, medialen Inhalten und alltäglichen sozialen Phänomenen auseinander. Dabei geht es nicht nur darum, auf theoretischer Ebene die Relevanz medientheoretischer Ansätze für geographische Perspektiven zu verstehen – sondern vor allem auch um die Fragen, inwiefern Medien und mediale Bedeutungskonstruktionen unsere Erfahrungen von space und place beeinflussen, transformieren und prägen und inwiefern über mediale Transformationen neue gesellschaftliche Raumordnungen entstehen, denen sich aus humangeographischer Perspektive angenähert werden kann.

Darüber hinaus befasst sich die Mediengeographie mit dem Einsatz von Medien als Forschungsmethode und -output. In unserer AG liegt die Auseinandersetzung mit mediengeographischen Perspektiven und Ansätzen quer zu unseren Forschungsprojekten d.h., dass wir diese immer mitdenken und in unsere Forschungsansätze und Fragestellungen miteinbeziehen (z.B. inwieweit mediale Diskurse und Inszenierungen Moralisierungen über Migration beeinflussen).

Urbane Räume sind in ihrer gesellschaftlichen Produktion, ebenso wie als Ausdruck von Gesellschaft selbst, in erster Linie gekennzeichnet von Prozessen der sozialen und räumlichen Inklusion und Exklusion. Wir blicken genauer auf die gesellschaftlichen und politischen Praktiken und Narrative dieser physisch-räumlichen Zuordnungen und daraus resultierenden Konsequenzen für die betroffenen BewohnerInnen. Regionaler Fokus unserer Forschung auf die urbane Grammatik ungleicher Raumproduktion liegt auf Brasilien und auf aktuellen Prozessen räumlicher Umsiedlung und Vertikalisierung von armutsbetroffener Bevölkerung in Sri Lanka.

Aktuelles Projekt: "Vertical slums, governance and panopticism: A critical assessment on the governance practices in urban high rises during the Covid-19 pandemic in Colombo, Sri Lanka" (Anjali Korala, Veronika Cummings).